Wunderheilen ohne Heilerlaubnis kann straffrei sein

Kommentar zur Entwicklung der rechtlichen Berufsbedingungen

Von Gerhard Tiemeyer

In einem Urteil vom 12. Juni 2014  (Az.: 507 Cs 402 Js 6823/11) wurde für einen Wunderheiler entschieden, dass er öffentlich werben kann‚ „mit geistigen Kräften Krebs und andere Krankheiten zu heilen“. Der Heiler pendelte sein Vorgehen aus und arbeitete mit Handauflegen und mit Fernheilung.

Das Urteil löst Schlagzeilen aus, wie: ‚Wunderheilen ohne Heilerlaubnis erlaubt‘. Das ist etwas irreführend, denn das Gericht kann nichts erlauben, es stellt lediglich die Straffreiheit unter bestimmten Bedingungen fest und diese Bedingungen sind maßgebend für das Berufsbild.

Die Bedingungen der Straffreiheit, die das Gericht formuliert, betreffen zwei Verhaltensweisen: a) der Wunderheiler muss als solcher deutlich erkennbar sein und b) die Tätigkeit selbst darf keine direkte Gesundheitsgefährdung darstellen.

 

Der Geistheiler oder Wunderheiler muss seine Aktivität ausschließlich auf Glauben begründen.

Er muss sich durch sein Verhalten deutlich von Ansprüchen der Medizin und der Heilkunde unterscheiden. In der Argumentation wird das seit 2004 bekannte Urteil des Bundesverfassungsgerichtes fortgesetzt. Es heißt:

Es ist nicht Aufgabe des Heilpraktiker-Gesetzes, Patienten vor falscher Wahrnehmung ihres Selbstbestimmungsrechts zu schützen. Ein sogenannter Wunderheiler, der spirituell wirkt und den religiösen Riten näher steht als der Medizin, weckt im Allgemeinen die Erwartung auf heilkundlichen Beistand schon gar nicht. Die Gefahr, notwendige ärztliche Hilfe zu versäumen, wird daher eher vergrößert, wenn geistiges Heilen als Teil der Berufsausübung von Heilpraktikern verstanden wird. Wer auf rituelle Handlungen setzt, setzt sein Vertrauen nicht in die Heilkunde und wählt etwas von einer Heilbehandlung Verschiedenes, wenngleich auch von diesem Weg Genesung erhofft werde. Je weiter sich da Erscheinungsbild des Heilers von einer medizinischen Behandlung entfernt, desto geringer wird das Gefährdungspotential, das geeignet ist, die Erlaubnispflicht nach dem Heilpraktiker-Gesetz auszulösen (Zitat, Urteil  Absatz: 14 grammatikalisch durch den Autor verändert).

Der Geistheiler übt keine Heilkunde aus, sondern wirkt mit Bezug auf seinen Glauben. Deshalb kann er nicht unter das Heilpraktiker Gesetz fallen, weil dort von Heilkunde gesprochen wird.

Das Erscheinungsbild des Geist- oder Wunderheilers muss sich deutlich von dem der anderen Heilberufe unterscheiden. Oft wird gemeint, dass hierfür ausreichend ist, einen entsprechenden Hinweis zu formulieren und unterschreiben zu lassen. Dies ist dann zu bezweifeln, wenn in der Darstellung der Arbeitsweise wissenschaftlich klingende Formulierungen benutzt werden. Hierfür ist folgender Hinweis relevant:

Abs. 29 der Urteilsbegründung: „Anders gelagert sind demgegenüber Konstellationen, in denen ein „Wunderheiler“ seine Ausführungen über das Heilungsprozedere mit Tatsachen ausschmückt, die zumindest den Anschein der Wissenschaftlichkeit haben.“

Die Werbung für geistiges Heilen muss demnach eindeutig den Glauben betonen. Der Praktiker hat klar zu machen, dass er daran glaubt, heilende Fähigkeiten zu haben. Alle Hinweise z.B. auf Energiefelder oder Physik oder irgendwelche Forschungen, können zur Irreführung beitragen. Zu vermuten ist, dass auch ausführliche Zertifikate, Heilnachweise oder Prüfungen bei Verbänden die Gefahr vergrößern, ‚den Anschein der Wissenschaftlichkeit‘ zu erwecken, der, um straffrei arbeiten zu können, eben nicht vorhanden sein darf. Behauptete Bezüge auf Engelkräfte oder andere transzendente Elemente werden möglich sein, weil dies deutlich eine Glaubensangelegenheit ist. Wer sich auf Energiearbeit bezieht, wird, so ist anzunehmen, in die Nähe der Energiemedizin geraten. Insoweit diese sich aber als eigene wissenschaftlich begründetet Arbeitsweise etabliert, wird der Begriff ‚Energie‘ den Anschein der Wissenschaftlichkeit vermitteln.

Kurzum: auch hier wird es noch viele spannende Rechtsfragen geben.

 

Geistheilen darf in der Praxis keine gesundheitliche Gefährdung bewirken.

Es heißt:

„Unter die strafbewehrte Erlaubnispflicht fallen nur solche Behandlungen, die gesundheitliche Schäden verursachen können. Bereits das Bundesverwaltungsgericht hat es neben anderen als ein Wesensmerkmal des Begriffs „Ausübung der Heilkunde” angesehen, dass die Behandlung gesundheitliche Schädigungen verursachen kann. Damit soll dem Gesetzeszweck, der Bevölkerung einen ausreichenden Rechtsschutz gegenüber Gesundheitsgefährdungen durch Unberufene zu geben, Rechnung getragen werden. Demnach fallen heilkundliche Verrichtungen, die keine

„nennenswerten“ Gesundheitsgefahren zur Folge haben können, nicht unter die Erlaubnispflicht des HeilPraktG, auch wenn sie zu ordnungsgemäßer Vornahme ärztliche Fachkenntnisse erfordern (Absatz 17; vom Autor gekürzt).

Aus dieser Sicht könnten manche den Schluss ziehen, alles sei erlaubt, was nicht nachweislich gesundheitsgefährdend sei, also z.B. jede Form von Energiearbeit ohne Berühren.

Dies ist eventuell ein recht gefährlicher Irrtum: Denn zur Straffreiheit gehören beide Bedingungen: das Auftreten muss deutlich von allen medizinisch-naturheilkundlichen Heilberufen unterschieden sein und die Behandlung darf keine direkte Gefährdung darstellen.

 

Einschätzung für die Berufsentwicklung

Zunächst kann es erscheinen, als sei geistiges Heilen nun eine lockere offene Berufsperspektive. Vor allem die, auch durch die DGAM lange verbreitete Meinung, man dürfe ohne Heilerlaubnis keine Heilankündigungen machen (sogenannte Erwartungstheorie, die verschiedene Urteile begründete), ist, wenn keine höheren Rechtsinstanzen widersprechen, vom Tisch.  Man kann also viel lockerer von Heilarbeit oder Heilförderung sprechen als bisher vielfach angenommen, wenn dies klar und deutlich nicht im Kontext von Heilkunde geschieht.

Nach meiner Meinung wirken die Gerichtsurteile darauf hin, dass drei  Berufsbereiche sich deutlicher voneinander unterscheiden müssen:

Es gibt zwei mögliche Gruppen für Heilberufe:

  • Die Heilberufe im medizinischen und naturheilkundlichem Sinne

  • Die gewerbetreibenden Geistheilerberufe
  •  
  • Sie unterscheiden sich dadurch, dass die einen sich auf Naturwissenschaft und Erfahrungswissenschaft beziehen und die anderen auf Glauben und Glaubenswirkungen.
  •  
  • Beide Heilberufe werben um die Gunst derer, die Krankheiten haben, die Leiden und die sich behandeln lassen wollen.

Und es gibt Gesundheitsberufe, die sich deutlich von Heilberufen unterscheiden. Ihre Angebote fordern den Kunden auf, etwas für die eigene Gesundheit zu tun. Selbstverständlich bieten Gesundheitsberufe ihre Leistung auch kranken Menschen an, die dann allerdings nicht zu behandelnde oder zu heilende Patienten sind, sondern Kunden, die etwas Gesundes für sich tun oder Gesundheit lernen wollen, die Rat suchen, Selbsthilfe lernen möchten, Erholung , Selbsterfahrung oder spirituelle Erfahrung suchen. Der potentielle Kundenkreis der Gesundheitsberufe ist bedeutend größer als der der Heilberufe.

Was wir in der DGAM seit vielen Jahren für die GesundheitspraktikerBfG entwickeln wird durch die Tendenz der Rechtsprechung unterstützt: Ausbilder und Praktiker haben zwischen zwei deutlich voneinander unterschiedenen Arbeitsrichtungen zu wählen. Heilberufe heilen Krankheiten, Gesundheitsberufe vermitteln Gesundheit.

Probleme ergeben sich oft  aus den Traditionen derjenigen Methoden, die überwiegend als Heilkunde unterrichtet wurden und werden. Denn die meisten Praktiker haben als vorrangige Motivationsquelle eine Begabung für Methodenwege, z.B. für Massage, für Dufterfahrungen, für stille Präsenz usw.   Sodann oft Erfahrungen mit diesen Methoden, die bereits aus dem Heilkontext kommen. Wenn jetzt die Ausbilder ihrerseits Heilkunde betreiben oder Geistheilung, so werden die Methoden als Heilkunde oder als Geistheilwesen vermittelt. Diese Situation bedeutet eine große und aussichtsreiche Herausforderung: 

Fast  alle Methoden, die traditionell auch für Heilbehandlungen gelehrt werden (z.B. Phytotherapie, Aromatherapie, Shiatsu, Hypnose - sogar Homöopathie)  sind gesundheitspraktisch anwendbar, wenn sie konsequent in ihrem Erscheinungsbild und in ihrer kommunikativen Vermittlung für  Entspannung, Vitalität und Selbsterfahrung ausgestaltet werden. Man kann das naturheilkundige Wissen der Methoden sehr gut als Hilfe für aktives und positives Gesundheitsbewusstsein vermitteln. Vor allem Selbsterfahrung im weitesten Sinne bietet einen offenen, die Kreativität kaum begrenzenden Kontext.  

Um ein Beispiel zu nennen. Der Heiler hat Pendeln als ‚Diagnose‘ benutzt – und dabei aufgepasst, nicht den Eindruck von Objektivität zu erwecken. Heilkundige würden ebenfalls mit dem Pendel diagnostizieren und hierbei mit einem System des Abfragens von Werten oder ähnlichem arbeiten. Gesundheitsberufe werden das Pendeln als Selbsterfahrung vermitteln, als ein offenes Gespräch mit dem Körper, subjektiv, immer einmalig und mit dem Ziel, Selbsthilfe für mehr Gesundheit zu finden.

 

Heilpraxis, Medizin und Geistheilen können sich selbstverständlich durch Gesundheitspraxis erweitern und geradezu ideal ergänzen (wenn ich bei Geistheilen aufgrund der radikalen Unterschiede in der Arbeitsbeziehung, sehr unsicher bin, wie das jemand leben kann).

Ebenso ist selbstverständlich, dass gesundheitspraktisches Arbeiten mit zu Heilung bei Krankheiten beitragen kann - Stärkung der Selbstheilungskräfte ist nur ein besseres Wort als Stärkung des Immunsystems, was eindeutig ein Ziel aller Gesundheitsförderung ist.

 

Alternative Medizin

Gesundheitsberufe gehören selbstverständlich zur Alternativen Medizin. Denn Erfahrung und Wissenschaft lehren, Menschen die sich körperlich, sozial, psychisch und geistig wohl fühlen, werden seltener krank und bei Krankheiten schneller wieder geheilt – als Menschen, die viel Angst haben.

Alternative Medizin und alternative Gesundheitspraxis zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht vorrangig nach Vorgabe von Normwerten oder Normordnungen (auch nicht Urgesetzen) arbeitet, sondern das individuelle subjektive Erleben in den Mittelpunkt stellt. Dogmatik und jede Form von angstmachender Praxis sind die ‚Gegner‘ alternativer Heilkunst und Gesundheitskultur. Die humanistischen Werte von Autonomie, Selbstverwirklichung, Ökologie und geistiger Freiheit (Spiritualität) sind die Leuchttürme des ‚Alternativen‘.

Gesundheit ist die beste Medizin!

 

Der Kommtar als PDF-Datei zum Download.